16.01.2020
Wir haben einiges auf den Weg gebracht
Wir haben einiges auf den Weg gebracht
DBV-Milchpräsident Karsten Schmal über die Sektorstrategie 2030
Der Präsident
des Verbandes der Deutschen Milchwirtschaft (VDM), Vizepräsident des Deutschen
Bauernverbandes (DBV) und Präsident des Hessischen Bauernverbandes (HBV),
Karsten Schmal, spricht im Interview mit Agra-Europe über die mühsame, aber
erfolgreiche Arbeit an einer Sektorstrategie Milch 2030, den Bedarf für eine
effektive Branchenkommunikation und die Notwendigkeit aller Beteiligten,
aufeinander zuzugehen.
Im April 2019 haben führende Vertreter
der Milchwirtschaft angekündigt, sie wollten bis Ende des Jahres ein
Maßnahmenpaket schnüren, um den künftigen Herausforderungen des Milchsektors
gerecht zu werden. Neun Monate später stellt sich die Frage, hat das Kind das
Licht der Welt erblickt?
Schmal: Ja. Der Öffentlichkeit werden wir es in
allen Einzelheiten auf der Grünen Woche vorstellen.
Als einer der Väter – sind Sie zufrieden
mit dem Ergebnis?
Schmal: Ja, auch wenn es wie immer im Leben
ist, dass sich nicht alle Wünsche erfüllen lassen. Wir haben aber einiges auf
den Weg gebracht, das ich vor neun Monaten nicht für möglich gehalten hätte.
Wer ist „wir“?
Schmal: In den neun Arbeitsgruppen haben alle wesentlichen
Akteure des Milchsektors mitgearbeitet. Das waren der Deutsche
Raiffeisenverband, der Milchindustrieverband, der Deutsche Bauernverband, der
Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), der Bundesverband
Privatmolkereien und die Interessengemeinschaft Genossenschaftliche
Milchwirtschaft (IGM). Insgesamt waren rund 100 Personen an den rund 50
Sitzungen der Arbeitsgruppen beteiligt. Gesteuert wurde das Ganze von einem
Lenkungsgremium mit zwölf Personen unter meinem Vorsitz.
Die Interessenunterschiede zwischen den
Beteiligten liegen auf der Hand. Hatten Sie von Beginn an wenig Zutrauen in die
Kompromissbereitschaft der Akteure, dass Sie sich mit dem ehemaligen
Abteilungsleiter im Bundeslandwirtschaftsministerium, Dr. Theodor Seegers,
einen Fachmann von außen als Moderator ins Boot geholt haben?
Schmal: Wenn man eine Branche zusammenführen
will, wie das bei der Milch bisher noch nicht erfolgt ist, kann eine fachlich
anerkannte Persönlichkeit wie Dr. Seegers eine große Hilfe sein. Er hat die
Kompromissfindung ohne Zweifel erleichtert. Allein die Tatsache, dass Dr.
Seegers bis zum Schluss an Bord geblieben ist, nachdem er zu Beginn deutlich
gemacht hatte, für eine Schauveranstaltung und einen Papiertiger nicht zur
Verfügung zu stehe, zeigt, dass wir tatsächlich etwas Substanzielles auf den
Weg gebracht haben.
Alle Akteure im Milchsektor haben
mitgearbeitet. Tragen auch alle das Ergebnis mit?
Schmal: Alle bis auf den BDM, der sich im
letzten Moment aus dem vorliegenden Kompromiss verabschiedet hat. Das ist
schade, aber im Moment nicht zu ändern. Nachdem seine Kernforderung nach
zentralen Eingriffen in den Milchmarkt in Krisenzeiten nicht mehrheitsfähig
war, hat der BDM sich nicht imstande gesehen, das Abschlusspapier zu
unterzeichnen. Die Tür bleibt aber offen, wenn es nun an die Umsetzung der
festgehaltenen Punkte geht.
Strategien im Agrarbereich haben derzeit
Konjunktur. Warum braucht die Milchwirtschaft eine eigene Strategie?
Schmal: Angesichts der sich verändernden gesellschaftlichen
Erwartungen an die Milcherzeugung, wachsenden Umwelt- und
Tierwohlanforderungen, vielfältigen Vorstellungen der Marktpartner und den
Herausforderungen in einem liberalisierten Markt bleibt nach meiner Überzeugung
der Branche keine andere Wahl als zusammenzurücken und gemeinsam einen Weg zu
finden, um die nächsten zehn oder zwanzig Jahre gemeinsam zu meistern. Die
allenthalben zu spürende Verunsicherung in der Landwirtschaft trifft auch die
Milchbranche, und der müssen wir etwas entgegensetzen.
Was sind die Schwerpunkte, an denen Sie
vorrangig gearbeitet haben?
Schmal: Ein Bereich sind die Lieferbeziehungen
zwischen Milchbauern und Molkereien. Wir sind uns einig, Milchpreise müssen
zwischen den Vertragspartnern oder über die Börse oder über Festpreiskontrakte
auch abgesichert werden können. Intensiv haben wir uns auch mit dem Thema
„Standardsetzung“ beschäftigt. Hier stehen wir als Milchwirtschaft vor der
Aufgabe, selbst aktiv tätig zu werden, wenn wir nicht wollen, dass andere
Standards für uns setzen, sei es der Lebensmitteleinzelhandel oder seien es
NGOs. Schließlich hat die Frage der Branchenkommunikation eine ganz wichtige
Rolle gespielt.
Kommunikation ist derzeit in aller
Munde, Defizite im Agrarbereich werden allenthalben beklagt. Worum geht es
Ihnen?
Schmal: Aus unserer Sicht ist es in Zukunft
unerlässlich, der Gesellschaft transparent, ehrlich, wissenschaftlich fundiert
und sachlich zu erklären, warum Milch wie produziert und verarbeitet wird.
Außerdem erscheint es notwendig, den hohen Gesundheitswert von Milchprodukten
für die Ernährung zu erläutern.
Was wollen Sie tun?
Schmal: Wer eine wahrnehmbare und effektive
Kommunikation aufbauen will, muss auch Geld in die Hand nehmen. Wir werden aus
der Branche heraus Geld einsammeln, um mit diesem Geld professionell
Kommunikation zu betreiben.
Hatten wir das nicht schon einmal?
Schmal: Die CMA ist Geschichte. Das mag man
bedauern, aber es ist so. Wir benötigen einen neuen Ansatz. Denkbar ist ein
Modell, in dem über einen festgelegten Abgabenbetrag je Milchmenge die
notwendigen finanziellen Mittel akquiriert werden. Unser Ziel muss es sein,
eine Struktur aufzubauen, die zweierlei leisten muss: Zum einen muss sie ein
Dauerrauschen erzeugen, um die Branche kontinuierlich in der Öffentlichkeit
sichtbar zu machen. Zum anderen muss sie in der Lage sein, unmittelbar zu
reagieren, wenn uns betreffende Fake News auftauchen oder Katastrophenmeldungen
über Milch im Netz die Runde machen.
Wer soll das Geld aufbringen?
Schmal: Das Geld muss aus der Kette kommen. Wir
werden nun ein Konzept ausarbeiten, das bei Molkereien und Milchbauern eine
möglichst breite Zustimmung erfahren soll. Wir sind nach den Gesprächen der
letzten Wochen und Monate überzeugt, dass sich ein Großteil der Unternehmen und
damit der Milchmenge in Deutschland in diesem Konzept wiederfinden wird.
Warum soll es keine verpflichtende
Umlage geben, um das Problem der Trittbrettfahrer zu umgehen?
Schmal: Das ginge nur, wenn man den Weg über einen anerkannten
Branchenverband gehen würde. Ich könnte mir das vorstellen, andere sind
zurückhaltend. Wenn es uns gelingt, auf freiwilliger Basis unser Ziel zu
erreichen, ist das zweifellos die bessere Lösung. Ich bin zuversichtlich.
Wie viel Geld ist nötig für eine
wirksame Branchenkommunikation?
Schmal: An der Beantwortung dieser Frage werden
Kommunikationsexperten aus der Branche arbeiten. Es soll ein finanzieller
Rahmen definiert werden, der notwendig ist, um national sichtbar zu werden. Wir
brauchen belastbare Zahlen. Spekulieren bringt da nichts. Aber nochmal: Ich bin
zuversichtlich, dass wir eine nationale Branchenkommunikation auf die Bahn
bringen.
In zehn Jahren?
Schmal: Nein. Es geht darum, noch in diesem
Jahr die notwendigen Vorbereitungen zu treffen, so dass wir zügig loslegen
können. Dazu gehört auch eine rechtssichere Grundlage. Das alles ist machbar,
das haben unsere intensiven Gespräche auch unter Einbeziehung von
Wissenschaftlern und externen Fachleuten gezeigt.
Konkrete Ergebnisse in puncto Branchenkommunikation
– gilt das auch für die Gestaltung der Milchlieferbeziehungen mit dem Ziel
einer besseren Verteilung des Preisrisikos zwischen Erzeugern und Verarbeitern?
Schmal: Wir haben nicht den Stein des Weisen
gefunden, also die eine Lösung für alle Fälle. Die kann es angesichts der
unterschiedlichen Strukturen in Deutschland auch gar nicht geben. Wir sind uns
aber einig, dass die Molkereien mit ihren Milcherzeugern gefordert sind, zu
einer moderneren Gestaltung ihrer Lieferbeziehungen zu kommen.
Dafür gibt es
bekanntlich unterschiedliche Möglichkeiten, die im Einzelfall geprüft werden
müssen. Eine Strategie kann keine Vorgaben machen, sondern lediglich die
bestehenden Optionen aufzeigen, die es dann in den Unternehmen zu diskutieren
gilt.
Eine dieser Optionen ist die
Preisabsicherung über die Börse. Die Branche bemüht sich seit Jahren darum. Wie
weit sind Sie?
Schmal: Es gibt einige große Molkereien, die
gute Erfahrungen gemacht haben und zum Teil eine vielversprechende Probephase
durchlaufen haben. Und das unter schwierigen Rahmenbedingungen eines zwar
niedrigen, aber sehr stabilen Milchpreises im letzten Jahr. Ich bin überzeugt,
dass wir 2020 weitere Fortschritte sowohl hinsichtlich der börslichen
Absicherung als auch der Etablierung von Festpreismodellen machen werden. Es
bewegt sich in die richtige Richtung.
Die Politik liebäugelt nach wie vor mit
staatlichen Vorgaben für die Lieferbeziehungen. Mit dem Zaunpfahl Artikel 148
Gemeinsame Marktordnung winken nicht nur regelmäßig Landesminister, sondern
auch die Bundeslandwirtschaftsministerin. Können Sie im Ergebnis der
Sektorstrategie Frau Klöckner Entwarnung geben, so dass sie keine Veranlassung
für solcherlei Aktivitäten mehr sieht?
Schmal: Die Sektorstrategie 2030 ist nach
meiner Überzeugung in dieser Frage ein Schritt in die richtige Richtung. Wir
sind noch nicht am Ziel, das räume ich ein. Es muss noch einiges abgearbeitet
werden, aber es bewegt sich was. In einem Milchmarkt mit mehr als 100
Molkereien und 60 000 Milchbauern kann eine einheitliche staatliche Vorgabe
immer nur die zweitbeste Lösung sein.
Die aber dann akut wird, wenn die
favorisierten freiwilligen Lösungen nicht umgesetzt werden, so dass der Staat
bei der nächsten Milchkrise wieder in die Pflicht genommen wird.
Schmal: Es wird in Zukunft Molkereien geben,
die zu wenig Milchlieferanten haben. Eine Molkerei kann nur gewinnorientiert
Milch verarbeiten, wenn sie ausgelastet ist. Das bedeutet aber auch, dass sie
Milcherzeuger hat, die bereit sind, zu dem Preis, den sie zahlt, Milch zu
erzeugen. Ist dies nicht gewährleistet, steigen die Betriebe spätestens im
Generationswechsel aus. Ich beobachte das gerade in Mittelgebirgsregionen wie
etwa meiner waldeckischen Heimat mit großer Sorge.
Ich glaube,
diese Gefahr hat die Branche erkannt. Das gilt auch für die notwendigen
Schlussfolgerungen. Dazu gehören faire Lieferbeziehungen.
Strukturen ändern sich nicht nur in der
Erzeugung, sondern auch in der Verarbeitung. Was sagt die Sektorstrategie?
Schmal: Wir haben auch die Molkereistrukturen
diskutiert und festgestellt, dass in den letzten Jahren keine Megafusionen mehr
angestrebt worden sind. Größe ist beileibe nicht alles. Es gibt regionale
Molkereien, die in ihrem begrenzten Markt sehr erfolgreich unterwegs sind und
kein Interesse an Größenwachstum haben.
Daneben
verfügen wir über Global Player wie Arla, Friesland-Campina und DMK, die
inzwischen eine Größe erreicht haben, dass weitere Fusionen nicht mehr
unbedingt erforderlich sind.
Klar ist aber
auch, dass wir bei der Wertschöpfung im europäischen Vergleich mit Molkereien
zum Beispiel aus Dänemark, Niederlande, Frankreich oder Österreich
hinterherhinken. Es wird bei den rund 160 Molkereien, die wir noch in
Deutschland haben, weitere Änderungen geben, aber nicht mehr um jeden Preis.
Keinesfalls wollen wir das über die Sektorstrategie forcieren.
QM-Milch ist eine Antwort der Branche,
um auf die Aktivitäten des Lebensmitteleinzelhandels für immer neue
Produktionsstandards zu reagieren und selbst das Heft in die Hand zu nehmen.
Wie weit sind Sie?
Schmal: Der QM-Standard ist in der
Milchproduktion breit etabliert. Circa 90 Prozent nehmen bereits an diesem
Qualitätssicherungssystem teil. Wenn eine Molkerei sich davon noch abheben
will, um im Wettbewerb Vorteile zu haben, soll sie das tun, wenn sie ihren
Erzeugern den zusätzlichen Aufwand honoriert. Wir versuchen aber auch, selbst
bei der Standardsetzung aktiv zu werden und diskutieren mit dem
Lebensmitteleinzelhandel über QM-Milch 2020. Wir sind zu vielem bereit, wenn
Mehrleistungen entsprechend bezahlt werden.
QM muss und
wird sich weiterentwickeln, vielleicht auch schneller als in der Vergangenheit.
Klar muss aber sein: Langfristig erfolgreiche Produktionsstandards werden auf
Augenhöhe von allen Akteuren der Lebensmittelkette gemeinsam definiert und mit
einem hohen Maß an Verbindlichkeit von allen Akteuren der Kette umgesetzt.
Daran lassen wir in der Sektorstrategie keinen Zweifel.
Wie geht es mit der Sektorstrategie
weiter?
Schmal: Der Prozess ist keineswegs
abgeschlossen. Ganz im Gegenteil: In vielen Bereichen fängt die Arbeit nun erst
richtig an. Mit der Strategie 2030 wird der Startschuss für einen fortlaufenden
Prozess gegeben. Unser 36-seitiges Papier ist also eine Momentaufnahme.
Zur
konstruktiven Arbeit an der Umsetzung des Maßnahmenkataloges sind alle
wesentlichen Akteure der deutschen Milchwirtschaft eingeladen. Darüber hinaus
sollen die Strategie 2030 sowie die einzelnen Maßnahmen regelmäßig auf den
Prüfstand gestellt und nachjustiert werden.
Wird die Umsetzung überprüft?
Schmal: Wir planen für Mitte des Jahrzehnts
eine Art Halbzeitbewertung. Wir werden die Ziele überprüfen ebenso wie die
Maßnahmen und bei Bedarf Änderungen vornehmen. Auch nach den zurückliegenden
intensiven neun Monaten besteht keine Veranlassung, die Hände in den Schoß zu
legen. Wir bleiben dran. age
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Winterweizen nach
Sortentyp düngen
Die N-Düngung zu Winterweizen ist auch an den jeweiligen Sortentyp anzupassen, um das Ertragspotenzial des Bestandes auszuschöpfen. Sorten, die ihren Ertrag vor allem über eine hohe Bestandesdichte realisieren, benötigen beipielsweise eine betonte erste Düngung.
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